Die „presbyterial-synodale“ Ordnung ist das Verbindende aller reformierten Kirchen weltweit. Diese Ordnung wendet sich gegen jede Art hierarchischer Kirchenleitung. Den Reformierten in Preußen blieb die Organisation ihres Zusammenhalts nach der synodalen Ordnung, die sie aus Frankreich mitgebracht hatten, vorerst verwehrt. Erst nach der 1817 in Preußen eingeführten Union waren sie in der Lage, die Organisation der Kirche in synodalen Strukturen zu etablieren. 1859 kamen die reformierten Prediger der Provinz Sachsen zu ihrem ersten Konvent zusammen. Eine Kreissynode der reformierten Gemeinden in Magdeburg, Wettin und Halle  fand erstmals 1864 statt.[i] Die für die Reformierten in den Niederlanden und in der Schweiz so typische presbyterial-synodale Verfassung konnte seitdem als wichtiger Bestandteil ihres Selbstverständnisses auch in der Diaspora gelebt werden. Aufgaben werden nach dem Subsidiaritätsprinzip von „unten“ nach „oben“ delegiert.

Quelle: Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Hg. von Axel Noack und Thomas A. Seidel. Weimar 2021, 123-129.

In den reformierten Gemeinden der EKM gehört meist das Lesen des Heidelberger Katechismus zur Liturgie und wird als wichtiger Identitätsmarker des reformierten Gottesdienstes empfunden. Das steht in gewisser Spannung dazu, dass nach reformiertem Verständnis der Glaube immer wieder neu zum Bekenntnis herausgefordert ist. Karl Barth brachte das auf den Satz: „Wir, hier, jetzt – bekennen dies!“ Die Unabgeschlossenheit des Bekenntniskanons gehört zu den Merkmalen reformierter Bekenntnisbildung. Die reformierte Kirchengeschichte ist voll von Bekenntnistexten – bis heute! Oft sind sie vor dem Hintergrund unhaltbarer gesellschaftlicher, politischer, globaler Probleme formuliert. Die Reformierten gehen – wie die Lutheraner – von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade aus. Dabei stellen sie deutlich heraus, dass das Versöhnungshandeln Christi in dieser Welt geschieht (Königsherrschaft Christi). Der Einzelne und die Gemeinde tragen Mitverantwortung für das, was geschieht, weshalb das Handeln von einzelnen Christen, Gemeinden und Kirchen immer politische Dimensionen hat. Lutheraner unterscheiden dabei stärker zwischen dem Wohl der Menschen einerseits, dem die staatliche Autorität und das christliche Handeln in der Gesellschaft verpflichtet sind, und dem Heil Gottes andererseits, das dem sündigen Menschen allein durch Christus geschenkt wird. 

Mit den Lutheranern teilen die Reformierten das „sola scriptura“, also die Auffassung, dass die Bibel die einzige Quelle für den Glauben und die entsprechende Lebensgestaltung ist. Aber sie lasen die Schrift stärker in der Einheit von Altem und Neuem Testament und hoben deutlicher die konstruktive Zuordnung der Gebote Gottes zum Evangelium hervor. Wie Martin Luther haben auch reformierte Theologen ihre Lehre in der Form des Katechismus aufgeschrieben. Der Heidelberger Katechismus (1563) gilt als der Katechismus der reformierten Kirche. Bekenntnisse haben keinen Ewigkeitswert, sondern sind im-mer wieder neu an der Erkenntnis der Schrift zu prüfen. Man wollte „nach Gottes Wort reformierte Kirche“ sein und schrieb im Kirchennamen die Grundregel aller kirchlichen Erneuerung fest: nämlich Reformation nach Gottes Wort. So würde sich ein guter Reformierter immer fragen: Bin ich schon reformiert?

In der Reformationszeit ist das Verständnis des Abendmahls zwischen Lutheranern und Reformierten strittig gewesen. Ist Christus in den Elementen von Brot und Wein leibhaftig gegenwärtig, oder ist er es in der Feier des Abendmahls unter den Gaben von Brot und Wein durch seinen Geist? Eine Verständigung war im 16. Jahrhundert nicht möglich. Den Reformierten ist in der Abendmahlslehre wichtig gewesen, dass der lebendige Christus unverfügbar bleibt und sich nicht an das Handeln seiner Kirche ausliefert. Kennzeichen reformierter Frömmigkeit ist auch, dass zum Mahl keine Oblate gereicht wird, sondern Brot. Wichtig war ihnen auch der Gemeindebezug der Abendmahlsfeier. Dort stellt sich die christliche Gemeinde sichtbar dar. Wer aus der christlichen Gemeinde ausgeschlossen wurde, weil er gegen die Lebensregeln des Glaubens lebte, der wurde für eine Zeit von der Teilnahme am Abendmahl ausgeschlossen. In reformierter Tradition wurde diese Kirchenzucht geübt, um Menschen wieder auf den Weg der Nachfolge Jesu einzuladen. Zuletzt haben die reformierten Kirchen Kirchenzucht geübt, als sie die weiße südafrikanische Kirche, die keine Schwarzen als Gemeindeglieder zulassen wollte, für eine Zeit aus der reformierten Weltgemeinschaft ausgeschlossen hat. 1973 kam es auf dem Leuenberg bei Basel zu einer Übereinkunft lutherischer, reformierter und unierter Kirchen (Leuenberger Konkordie), in denen die Kirchen und untereinander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft erklärten.

Wenn in reformierten Kirchen vom Wort Gottes die Rede ist, dann ist die ganze Bibel gemeint: Die Hebräische Bibel (das „AlteTestament“) und die griechische Bibel (das „Neue Testament“) sind gleich gewichtet. Seit alters her wird die besondere Bedeutung Israels als des alten Bundesvolkes betont. Gott hat seinen Bund mit Israel nie verworfen. Reformierte Gemeinden sehen sich aus diesem Grund in besonderer Weise dem Dialog mit dem Judentum verpflichtet. In einigen Gemeinden werden bis heute in jedem Gottesdienst die Zehn Gebote gelesen.

Weil das Wort - wie auf der Seite zum Gottesdienst gezeigt - allein wirken können soll, hat das Bilderverbot für die Reformierten eine große Bedeutung. Es ist nicht einfach aus den radikalen Bilderstürmen der Reformationszeit erwachsen. Solche hat es in den reformierten Kirchen der EKM ohnehin nie gegeben. Das Bilderverbot hält dazu an, gefasste Bilder immer wieder zu hinterfragen. Gott lässt sich in keinem Bild fassen. Er ist immer mehr, als wir uns vorstellen können. Unsere Mitmenschen und wir, seine Ebenbilder, ebenfalls. Auch seine Schöpfung erschöpft sich niemals in dem Bild, das wir uns von ihr ge-macht haben. 

Wer zum ersten Mal ein reformiertes Kirchengebäude betritt, dem wird in der Regel die nüchterne Gestaltung des Raumes auffallen. Wie in Judentum und Islam gilt ein Verbot der bildlichen Darstellung Gottes. Nach reformierter (biblischer) Zählung lautet das 2. Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen […] Bete sie nicht an und diene ihnen nicht […].“ Bilder haben etwas Statisches und legen Gott auf bestimmte menschliche Blickwinkel fest. Gott zeigt sich dagegen immer wieder neu und anders im Medium des Wortes. Durch Bilder verstellen Menschen sich diese lebendige Selbstoffenbarung Gottes. Reformierte Theologie betont, dass das Endliche (z. B. ein Bild) nie zum Gefäß des Unendlichen werden kann.

Martin Luther fand die Antwort auf die Frage nach dem gnädigen Gott im Kloster als angefochtener Mönch. „Ich kann mir die Gnade Gottes nicht erringen durch Buße, durch eigene Werke. Gott schenkt sie mir allein aus Gnade, ich nehme sie an allein im Glauben.“

Johannes Calvin war Pfarrer einer Gemeinde von Flüchtlingen in Genf und musste ihnen Halt geben, sich in der neuen Heimatgemeinde zurechtzufinden. Ihm lag sehr an der Frage: „wie kann ich als gerechtfertigter Mensch nun mein Leben auch in der Gemeinde und in der Gesellschaft gestalten?“ Zur Rechtfertigung trat die Heiligung des Lebens. Die Zehn Gebote bekamen ihre Wichtigkeit nicht nur als Sündenspiegel, an denen Christen ablesen können, wo sie sich verfehlt haben, sondern mehr noch als Weisung und ethische Regel für die Durchführung ihres christliches Lebens. Der Heidelberger Katechismus gibt mir auch ein sehr positives Motiv an, nach dem ich als Christ handeln kann: Nicht nur aus Gehorsam meinem Schöpfer und Erlöser gegenüber, sondern aus Dankbarkeit lebe ich so, wie er es will, in der Nachfolge Jesu, in der Verantwortung allen Tuns Gott gegenüber.

Reformiertes Christsein bejaht darum in besonderer Weise Beteiligung im gesellschaftlichen Leben. Gemeinwohl geht über das Interesse des Einzelnen hinaus. Seit den Genfer Tagen Calvins mussten sich die reformierten Christen als Flüchtlinge oder als Minderheit in ihrer kirchlichen und gesellschaftlichen Umwelt behaupten und darum auch besondere kritische Verantwortung wahrnehmen.

So waren es besonders reformierte Kirchenleute, die in den Barmer Thesen 1934  sich gegen den Übergriff der nationalsozialistischen Ideologie auf die Kirche erklärt haben. Die Apartheit in Südafrika und ihre theologische Rechtfertigung, die der schwarzen Bevölkerung die gleichen Rechte wie der weißen vorenthielt, wurde vom reformierten Weltbund geächtet. Ähnliches strebt der Weltbund auch an in der Frage der ungerechten Verteilung des Reichtums auf der Erde. Es soll nicht eine Frage des politischen Ermessens sein, sondern eine Glaubensfrage. Wer Christ ist, darf sich an dieser Ungerechtigkeit nicht beteiligen.

In Deutschland hatte sich der Reformierte Bund besonders radikal gegen die Atombewaffnung gestellt. Neuerdings ist er als erster christlicher Zusammenschluss dem globalisierungskritischen Attac beigetreten, einer Vereinigung, die sich um Gerechtigkeit und Solidarität in den Finanzen, und in der Wirtschaft bemüht.

So verstehen gerade die reformierten Christen ihre Verpflichtung auch in der Gesellschaft als Aktivität derer, die als Gerechtfertigte ihr Leben in den Dienst Heiligung stellen.

Immer wieder wird mit Reformierter Theologie und Kirche die Prädestinationslehre in Zusammenhang gebracht. Das ist grundsätzlich richtig. Die Prädestinationslehre besagt, daß kein Mensch zu Gott kommen kann, den Gott nicht erwählt hat. Und sie besagt auch, daß der, der zu Gott gehört, auch ewig zu ihm gehören wird. Für die verfolgten Hugenotten war das ein großer Trost, daß sie wußten: nichts und niemand kann uns von Gott trennen. Schwierig wird es, wenn man diese Erwählungslehre aus ihrem seelsorgerlichen Zusammenhang reißt und sie als Beschrewibung für den Zustand der Welt nimmt, so, als ob man die Welt einteilen könnte in Erwählte und Verworfene. Das kann man nicht, und auch Johannes Calvin hat immer darauf hingewiesen, daß der Ratschluß Gottes für die Augen der Menschen verborgen ist. Der Schweizer Theologe Karl Barth hat im 20. Jahrhundert darauf aufmerksam gemacht, daß man die Erwählung Gottes nur von Jesus Christus her verstehen könne. Er ist der eine erwäbhlte Mensch Gottes, aber auch der eine Verworfene, der für Gott und die Menschen ans Kreuz geht. In Christus hat Gott alle Menschen erwählt und sich allen zugewendet. In den Reformierten Kirchen wird die traditionelle Erwählungslehre oft und sachgerecht in dieser Weise ausgelegt.